Comic Review: Baltimore Bd. 01 (Cross Cult) - ein Monster von einem Comic!

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Comic Review: Baltimore Bd. 01 (Cross Cult) - ein Monster von einem Comic!

Der Schöpfer hält die Strähnen meines Schicksals fest wie die Fäden einer Marionette, und er lässt mich nicht vor dem letzten Akt fallen. Erst wenn der letzte Blutstropfen vergossen ist. Der Bastard. (Captain Baltimore in Der Höllenzug)

Manche Comics brauchen einfach Zeit. Eine ganze Woche hat mich der neuste 576 Seiten starke Band aus dem Mignola-Verse beschäftigt, den Cross Cult gerade in gewohnt limitierter Stückzahl auf den Markt geworfen hat. Im Gegensatz zu den Hellboy-Universums Bänden wurde das Format leicht angepasst und so bekommt man anstatt des üblichen 14x21 Hardcovers, einen 16x24 Band, vergleichbar mit aktuellen Verlagspublikationen wie Saga, Outcast oder Nowhere Men. Schön gemacht.

Was Mike Mignola als kreativer Kopf hinter Hellboy und der B.U.A.P. mit seinem Horror-Fiction-Universum geschaffen hat, sucht auf dem aktuellen Comicmarkt seinesgleichen. Seit Jahren wird dieser künstlerische Mikrokosmos beständig erweitert und die frischen Geschichten zu Baltimore sollen nun dabei helfen. Obwohl, so frisch ist Baltimore gar nicht. Bereits 2007 verfassten Mignola und Autor Christopher Golden einen illustrierten Roman zum Captain und seiner unerbittlichen Jagd (auch bei Cross Cult: klick), der jetzt als reiner Comic neu bzw. weitererzählt wird.

(Copyright: Cross Cult)
Für den von der englischen Küste stammenden Lord Sir Henry Baltimore begann das lange Ende seines Lebens auf den Schlachtfeldern in den Ardennen. Der erste Weltkrieg begann gerade das Grauen über Europa zu verbreiten, da sollte der junge Lord zusammen mit seinen Kameraden im apokalyptischen Maschinengewehrfeuer der modernen Kriegsführung untergehen. Doch er überlebte und sah wie sich riesige Fledermausartige Wesen auf dem brachliegenden Schlachtfeld an dem Blut seiner gefallenen Freunde labten. Gerade so konnte er dem Tod entkommen und verletzte dabei eines der Wesen. Eine Fügung die sein gesamtes Leben begleiten sollte, denn das verletzte Geschöpf entpuppte sich als Vampirfürst Haigus, dessen Blut den Boden tränkte und der dem jungen Baltimore Rache schwor.
Zurück in der Heimat kam Haigus ihm zuvor und löschte Baltimore’s gesamte Familie aus, in dem er sie infizierte, zu Wiedergängern machte... zu Vampiren. Sir Henry blieb keine andere Wahl als seine geliebte Frau zu töten und sich selbst zu schwören, Haigus bis ans Ende der Welt zu jagen.Bricht man es nüchtern runter, könnte man Baltimore als bodenständige Vampirgeschichte bezeichnen, aber das würde dem Buch nicht gerecht werden. Anders als im Originalroman von Mignola und Golden setzt man den verbitterten Lord als Hauptfigur und erzählende Person ins Zentrum der Geschichte.
Irgendwo zwischen Van Helsing und Captain Ahab jagt Baltimore seinen weißen Wahl durch das verseuchte Europa und erzählt dabei eine Horrorgeschichte von der Schwere eines H.P. Lovecrafts, mit unzähligen Reminiszenzen an literarische Werke (Stoker’s Dracula), Autoren (Edgar Allan Poe’s sprechender Kopf im Glas) oder historischen Persönlichkeiten (Helena Petrovna Blavatsky als wiedergeborene Hexe).
Dabei betten die Autoren die Geschichte in den historischen Kontext des ersten Weltkrieges, der jedoch nach Belieben geformt und der Geschichte dienlich gemacht wird. Die fiktionale Pestepidemie die mit der Verbreitung des Vampirismus in Verbindung steht, unterstreicht dabei das Element der Infektion: das Vampirsein als Krankheit und deren Ausbreitung. Ein mehr als geeignetes Fundament für den Horror eines Mike Mignola.
Ob Frankreich, Schweiz/Österreich oder Ungarn, Baltimore durchstreift ein zerrüttetes und hilfloses Europa, das den Krieg der noch im vollen Gange ist längst erlebt gehabt zu haben scheint. Mit auffällig agilem Holzbein, Harpune und diversen anderen Waffen verschafft Mignola dem gebrochenen Helden eigenwillige Trademarks, ähnlich seinem Hellboy. Trotz gelegentlich trockenem Humor fallen die Geschichten des Sir Henry Baltimore’s jedoch deutlich ernster aus den Seiten. Das Element Horror steht im Fokus und so wühlen sich die beiden Kreativen durch den Katalog eines ganzen pop-kulturellen Genres und schaffen es dabei einzigartig mitreißend und frisch zu wirken.
(Copyright: Dark Horse Comics)

Illustriert wird die dramatische Reise von dem aus Auckland, Neuseeland stammenden Zeichner Ben Stenbeck, den Mignola-Enthusiasten u.a. bereits aus der B.U.A.P. Story Der ektoplasmische Mann kennen dürften. Stenbeck weiß wie er Mignola-Geschichten zu zeichnen hat. Sein einfach wirkender aber dennoch sehr detaillierter Stil lassen das Buch von Anfang bis Ende wie eine Mignola-Story aussehen und sich auch so anfühlen, wozu die wunderbaren Farben von Dave Stewart sicherlich ihren Beitrag leisten.
Die dauerhaft karg-düstere und graue Optik, die in gewalttätigen Szenen gern mal in blutendes Rot umschlägt, verleiht der Geschichte eine dauerhaft präsente unheilvolle Schwere, die Lord Baltimore mit sich trägt, wenn er durch sterbende europäische Dörfer schlendert.
Vor allem die Farbe Rot, als Farbe des Blutes, signalisiert immer wieder bedeutende bzw. herausstechende Schlüsselmomente in der Odyssee des Protagnisten. Als Stilisierung einer Vampirgeschichte recht passend gewählt.

Der überproportionale Band enthält die ersten 4 US Paperbacks, samt aller enthaltenen Sub-Storys:

Bd. #1: Die Pestschiffe
Bd. #2: Die Glocken der Verdammnis
Bd. #3: Ein durchreisender Fremder und andere Geschichten
- Die Witwe und der Panzer
- Ein durchreisender Fremder
- Das Schauspiel
- Dr. Leskowars Elixier
- Der Inquisitor
Bd. #4: Die Knochenkapelle
- Der Höllenzug 
- Die Knochenkapelle

Zu jedem Buch gibt es auch noch tonnenweise Zusatzmaterial wie Einleitungen und Sketches. Im Anschluss des Bandes spendiert Cross Cult auch noch ein kurzes Interview mit Zeichner Ben Stenbeck.

Baltimore’s Jagd nach seiner Nemesis Haigus zieht sich wie ein roter Faden durch alle Geschichten und bringt dabei etliche interessante Nebencharaktere mit sich, wie den wahnsinnigen Inquisitor Duvic oder auch den Journalisten Hodge. Das letzte Kapitel mag zwar den Plot beenden, tritt jedoch letztendlich eine Tür für einen deutlich größeren Handlungsbogen auf, der eine Fortsetzung unumgänglich macht. Die Ankündigung der Story The Cult of the Red King für Januar 2016 lässt der Hoffnung bereits Früchte tragen und das ist gut so, denn was Mignola, Golden, Stenbeck und Stewart mit dieser wunderbaren Geschichtensammlug vorgelegt haben, macht dem eigenen bisherigen Schaffen deutliche Konkurrenz.
So ist der erste Band der Baltimore-Saga nicht nur für Mignola-Fans ein unumstößlicher Pflichtkauf, sondern auch für alle Leser die gern einmal in die Comickunst des besagten Herren eintauchen wollen, ohne sich dabei durch ein großes Universum wühlen zu müssen. Auch wenn ich zwingend rate letzteres irgendwann in Angriff zu nehmen.

Baltimore ist ein exzellentes Horror-Comic, voller Liebe zum Genre, einer intensiven Geschichte und einem Protagonisten der mit der Geschichte wächst und den Leser so bald nicht mehr loslassen wird. Einer der Top-Titel des bisherigen Jahres und gewiss eine unvergessliche Erfahrung. Pflichtkauf!

Eine Leseprobe gibt es hier.

Bewertung:

Verlag: Cross Cult
Format: 16x24, Hardcover (lim. auf 1.222 Stk.)
Vö-Datum: 22.06.2015
Originalausgaben: US The Plague Ships, The Curse Bells, A Passing Stranger and Other Stories, Chapel of Bones
Seitenzahl: 576
Sprache: Deutsch
Autor: Mike Mignola und Christopher Golden
Zeichner: Ben Stenbeck und Dave Stewart
Preis: 50,00 €

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Anonym
Anonym
9. August 2015 22:03

Tolle Rezension zu einem tollen Comic. Dankeschön. Weiter so!!! 🙂

Emanuel Brauer
10. August 2015 18:55

Vielen Dank! 😉

Jean
Jean
12. August 2015 15:25

Also kann man den Band auch lesen ohne Hellboy zu kennen?

Emanuel Brauer
13. August 2015 8:43

Absolut problemlos, ja. Der gesamte Band handelt auch lange vor den Ereignissen, mit denen Hellboy überhaupt beginnt.