Comic Review: Captain America - White
Manchmal werden Träume wahr: „Captain America: White“ erschien nun in gesammelter Form bei Panini Comics. Die Story saß lange zeit auf keinem grünen Zweig bzw. schien es sogar mehr als unwahrscheinlich, dass sie überhaupt jemals zu Ende gebracht werden würde. Als im September 2008 „Captain America: White“ mit der Ausgabe #0 erschien, hätte dies kein ungünstigerer Zeitpunkt sein können, denn im legendären Ed Brubaker Run, zum „Star-Spangled Banner“-Schild tragenden Heroen (Leute, lest diese Comics!), wurde die Welt um Captain America förmlich auf den Kopf gestellt.
Steve Rogers verlor sein Leben, Bucky Barnes wurde zum neuen Cap und der „Civil War“ passierte auch noch „nebenbei“. Da sollte wenig Platz sein für das Dream-Team Jeph Loeb und Tim Sale, um ihre gefeierte Marvel-Arbeit fortzusetzen.
Gut 7 Jahre später sah die Welt wieder anders aus: Captain America war und ist weit über die Comics hinaus bekannt, mittlerweile auch erfolgreicher Kino-Held und der Status Quo beim stolzen Recken auch aktuell noch so ambivalent, dass die Leser den Autoren klassisch-angehauchtes Material wahrscheinlich aus der Hand reißen. Der ideale Zeitpunkt, um die Marvel-Farbenserie fortzuführen und „Captain America: White“ in voller Länge ins Feld zu schicken.
Die Farbenserie
Wer nun jedoch hinter der seltsam anmutenden Betitelung einen etwas politisch anrüchigen Plot erwartet, sei gewarnt, denn bei der Farbenserie von Jeph Loeb und Tim Sale werden abgeschlossene Geschichten zu bekannten Marvel-Helden verfasst und im Titel jeweils mit einer Farbe versehen: „Daredevil: Gelb“, „Hulk: Grau“, „Spider-Man: Blue“ und eben nun „Captain America: White“.
Neben besagter Farbenserie, wobei „Spider-Man: Blue“ und „Daredevil: Gelb“ vielleicht mit zu den besten Marvel Comics aller Zeiten gehören, schufen diese beiden kreativen Alleskönner auch Meisterwerke wie „Batman: Das lange Halloween“ sowie dessen Fortsetzung „Batman: Dark Victory“.
Jeph Loeb und Tim Sale zählen daher zu den wahrscheinlich einflussreichsten und besten Kreativ-Teams im Superhelden-Comic der Neunzigerjahre und des frühen 21. Jahrhunderts. Eine Schilderung der Erwartungshaltungen gegenüber „Captain America: White“ kann ich mir daher wohl kneifen.
Der Comic
Die Geschichte setzt kurz nach der Rettung Steve Rogers aus dem ewigen Eis des Atlantiks ein, kurz nachdem Steve seine Arbeit als „Captain America“ wieder aufgenommen hat. Er erzählt uns in einem Monolog aus dem Off davon, wie er zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges ein Supersoldat, zum Aushängeschild des amerikanischen Befreiungskrieges und demnach zu „Captain America“ wurde. Viel wichtiger noch, er erzählt uns von Bucky, wie dieser sich noch im Ausbildungscamp Cap anschloss, somit zu seinem jugendlichen Sidekick avancierte und mit ihm das erste große Abenteuer auf europäischem, vom Krieg heimgesuchten Boden antrat.
Wie auch bereits bei den anderen Geschichten der Farbenserie steht dabei die Beziehung der beiden Protagonisten im Mittelpunkt. In „Daredevil: Gelb“ erzählte uns Matt Murdock auf ähnliche Weise von Karen, in „Spider-Man: Blue“ berichtete Peter Parker den Lesern über dessen Verlust von Gwen Stacy, so geht es hier um die Freundschaft zwischen Steve Rogers und Bucky Barnes, aber auch um die Schuldgefühle die Steve noch immer mit sich trägt. Schuldgefühle darüber einen beinahe noch im Kindesalter steckenden Freund in die Schlacht nach Frankreich mitgenommen zu haben. Dabei treffen wir auf Figuren wie Red Skull, Baron Strucker oder auch Nick Fury und seine „Howling Commandos“.
Autor Jeph Loeb zieht seinen markanten Stil auch Jahre nach dem Erscheinen der Vorgänger detailgetreu fort und reiht „Captain America: White“ nahtlos in eine Reihe von ausnahmslos eigenständigen Comics ein.
Eine emotionale Tiefe von „Spider-Man: Blue“ wird jedoch auch hier nicht erreicht, das schafften selbst die anderen Comics der Reihe nicht, weshalb dieses Werk auf ewig aus besagter Bibliografie herausstechen wird. Dennoch wird die Beziehung zwischen Cap und Bucky außergewöhnlich feinfühlig dargestellt. Unter Beachtung des Aspekts, dass es sich bei Steve Rogers selbst ursprünglich um einen Charakter handelte, der vor der Verwandlung zum Supersoldaten entwicklungstechnisch nicht auf der Höhe seines älteren Freundes Bucky war, werden dem Plot so einige überraschend interessante Aspekte der Charakterentwicklung verpasst.
Tim Sale und Dave Stewart
Als Panini Comics mir das schicke limitierte Hardcover zusandte und ich voller Freude die Folie von dem Band riss, war ich zunächst geschockt, denn Tim Sale hatte seinen Stil im Gegensatz zu den älteren Comics deutlich „verändert“ bzw. weiterentwickelt und ich dachte nur: „Oh Gott, diese Farben!“. Was Mr. Sale und Dave Stewart („Baltimore“, „B.U.A.P.“), aktuell womöglich einer der besten Koloristen des amerikanischen Comic-Marktes, hier in die Seiten zaubern, ist so atemberaubend schön, dass man sich diesen Comic auch gut als Bildband ansehen möchte. Mit gemäldeartiger Tusche und warmen Farben erschaffen die beiden eine dermaßen einnehmende Atmosphäre, dass ich behaupten möchte, in „Captain America: White“ eine der bisher besten und schönsten Arbeiten von Tim Sale zu sehen.
Empfehlung?
Wie bereits erwähnt, erreicht „Captain America: White“ nicht das emotionale Level von „Spider-Man: Blue“ oder eine spannungstechnische Tiefe wie in „Batman: Das lange Halloween“, dennoch muss der Comic nicht in deren Schatten versauern, sondern generiert seinen eigenen kleinen Metakosmos, als eigenständige und wunderschön illustrierte Geschichte, über einen Helden und seinen besten Freund. Panini Comics bringt den Band übrigens ungekürzt bzw. ohne retuschierte Symbolik.
Abseits der monatlichen Marvel Outputs, gefüllt mit kontinuitiven Verschachtelungen und gelegentlichen logischen Diskrepanzen, stellen Loeb, Sale und Stewart eine abgeschlossene und unabhängige Story vor, welche die Liebe zu ihren Figuren wie auch zum Medium selbst gleichermaßen auslebt und letztendlich an keinem Marvel Leser vorbei gehen sollte. Ein echtes Highlight.
Titel: Captain America: White
Verlag: Panini Comics
Format: Softcover / lim. Hardcover
Vö-Datum: 03.05.2016
Originalausgaben: US Captain America: White #0-05
Seitenzahl: 140
Autor: Jeph Loeb
Zeichner: Tim Sale
Preis: 16,99 € / 25,00 €(Cover Copyright: Panini Comics)
Passionierter Fanboy & Comic-Nerd. Ist seit vielen Jahren im Netz als Blogger unterwegs und fungiert als Betreiber und Autor von bizzaroworldcomics.de.
Zudem wirkt er als Autor für Fachmagazine wie Comic.de und stellt 1/3 Sprechblase bei POW! - Ein ComicPodcast. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern im Harz.