Comic Review: Joe Shuster - Vater der Superhelden (Carlsen)

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Comic Review: Joe Shuster - Vater der Superhelden (Carlsen)

Bereits nach den ersten Panels hatte ich eine ganz besondere Beziehung zu dieser Graphic Novel, schließlich war dies der erste Comic, den ich nach der Geburt meiner kleinen Tochter in den vergangenen Tagen gelesen habe. Ja, ich bin reichlich anfällig für solche Emotionalitäten, tut mir leid. Aber es steckt natürlich noch mehr dahinter. Leser meines Blogs wissen, dass ich auch eine ganz besondere Beziehung zu Superman habe... einen gewissen nostalgischen Idealismus, den ich mit dem Urvater der heute von uns so geliebten Helden verbinde.
Wer sich jedoch mit der Historie der Figuren des Superheldencomics einmal auseinandersetzt, ihre Ursprünge verfolgt und die Macher hinter der heroischen Fassade beleuchtet, wird alsbald auf einige Unschönheiten, bröckelnden Putz und wenig heroischen Glanz stoßen, denn kaum ein popkulturelles Genre ist auf so viel Unrecht, mangelnder Wertschätzung und moralischen Diskrepanzen zementiert worden, wie der Superheldencomic.

Autor Julian Voloj und Zeichner Thomas Campi setzen mit ihrem autobiografischen Comic ganz am Anfang an und widmen sich augenscheinlich der Entstehung des Stählernen bzw. vornehmlich einem seiner beiden Schöpfer: Joe Shuster. Mit Zeichner Joe Shuster und Autor Jerry Siegel sollte im Cleveland der 1930er Jahre der Startschuss zu einer bis heute andauernden Heldensaga gelegt werden. Mit unerschöpflichem Tatendrang und Träumen ausgestattet waren die beiden Jungs aus jüdischem Hause gewillt Geschichten zu erzählen und diese vor allem auch veröffentlichen zu können.
Eine revolutionäre Idee wurde gesucht, denn im aufschwingenden Amerika nach der Weltwirtschaftskrise schien alles möglich, wenn man nur mit der richtigen Idee zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle war. So entstand die Figur Superman, der erste Superheld... und ein Leidensweg für Shuster und Siegel, der die beiden bis zu ihrem Tod knapp 60 Jahre später verfolgen sollte.

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Mitte 1970er wurde ein Film geplant, der viele Menschen reich machen sollte. Regisseur Richard Donner sollte damit in die Filmgeschichte eingehen, Christopher Reeve zum Weltstar aufsteigen und der bereits übergroße Marlon Brando für wenige Szenen rekordverdächtige 4 Millionen US Dollar Gage kassieren. Währenddessen erwacht Joe Shuster, einer der  beiden Erfinder der Figur, um die es im großen Kino-Blockbuster gehen soll, vollkommen mittellos auf einer Parkbank. Ein freundlicher Polizist schleppt ihn in ein Diner, versorgt ihn mit Essen und hört sich seine Geschichte an. Der mittlerweile fast blinde Shuster erfand zusammen mit seinem Schulfreund Jerry Siegel den ersten Superhelden der Comicgeschichte: Superman, die vielleicht größte popkulturelle Errungenschaft der US-Geschichte.
Doch warum schläft solch ein visionärer Geist auf einer Parkbank und ist nicht reich? Eine gute Frage auf die eine ausschweifende, schmerzhafte Antwort folgen soll, deren Dreh- und Angelpunkt ein Scheck über 130 Dollar ist, den zwei blauäugige, junge Künstler annehmen und somit die Rechte an ihrer Erfindung an ein multimillionen Dollar schweres Unternehmen abtraten, welches ihre Figur in den folgenden Jahrzehnten bis auf das Mark ausschlachten sollte und die eigentlichen geistigen Ideengeber aufs Abstellgleis schob.

Autor Julian Voloj lässt Shuster seine Geschichte aus der Ich-Perspektive berichten, beginnend mit der Kindheit, wie seine Familie vor den Pogromen in Russland nach Europa floh und später in die USA immigrierte. Aufgrund oft wechselnder Anstellungen seines Vaters war die Familie gezwungen immer wieder umzuziehen. Joe war ein leidenschaftlicher Zeichner und suchte Künstler seinesgleichen, mit denen er Geschichten erzählen konnte. Nach einem erneuten Umzug traf er auf Jerry Siegel, einem Cousin eines Schulfreundes Shusters. Siegel schrieb an eigenen Storys, die Shuster künftig illustrieren sollte. Zusammen arbeiteten sie nicht nur für die Schülerzeitung „The Torch“, sondern verfassten auch eigene Erzählungen, vornehmlich aus dem damals populären Science-Fiction-Pulp-Sektor.
Als Jerrys Vater in seinem Schneidereigeschäft überfallen wird und an einem Herzinfarkt verstirbt, trifft das Jerry schwer und lenkt seine erzählerische Intentionen in die Richtung, in der irgendwann der Held Superman auf ihn warten sollte. Ihre Geschichten fanden jedoch nur wenig Anklang. Bis zum Jahr 1935, als sie einen Fuß in die Tür bei National Comics Publications bekamen, dem Verlag, der viele Jahre später zu DC Comics umbenannt werden sollte. Gut drei Jahre lang verkauften sie Geschichten an das Verlagshaus, bis dieser Interesse an ihrer Figur Superman zeigte. Siegel und Shuster werkelten bereits seit gut 5 Jahren an den Strips zum Stählernen, doch wurde er bisher von jedem Verleger abgelehnt. Nun zeigte sich der Herausgeber aus New York interessiert und kaufte die Figur nebenbei einfach ein.
Die beiden Jungs erhielten kurz darauf einen Scheck per Post in Höhe von 412,00 US Dollar, wovon 130,00 Dollar für die Rechte an der Figur Superman gedacht waren und der Rest für bereits verfasste Geschichten. Ein klassisches Urheberrecht, wie wir es kennen, wurde in den Vereinigten Staaten erst mit dem Copyright Act im Jahr 1976 gesetzlich geregelt. Im April 1938 erschien „Action Comics“ #01 mit Superman auf dem Cover. Die erste Ausgabe verkaufte sich binnen kürzester Zeit über 130.000 Mal, was eine stetige Auflagensteigerung mit jeder weiteren Ausgabe nach sich zog. Eine Legende war geboren und zwei visionäre Künstler nahmen die Schwelle in ihr eigenes Unglück, ohne es anfänglich zu merken.

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Noch einige weitere Jahre arbeiteten die beiden für den Verlag als Angestellte und verfassten Superman Storys. Die Popularität der Figur wuchs stetig und erreichte auch andere Medien, wie etwaige Radiosendungen und später auch das Fernsehen. Vor allem Jerry Siegel zeigte sich schnell unzufrieden mit der Situation, denn er bemerkte, dass National Comics Publications die beiden übers Ohr gehauen hatte. Während Shuster und Siegel für einen üblichen Obolus pro Seite arbeiteten, verdiente der Verlag Millionen mit ihrerer Erfindung, doch erhielten die Schöpfer keinerlei Gewinnbeteiligung. Nachverhandlungen blieben erfolglos und eine gegen den Verlag eingereichte Klage führte zur sofortigen Kündigung. Erst knapp 40 Jahre nach dem Erscheinen von „Action Comics“ #01, unzähligen Versuchen die Rechte an ihrer Figur wieder zu erlangen oder zumindest eine Gewinnbeteiligung zugesprochen zu bekommen, stand der Kinostart von Richard Donners „Superman“ Film an.
Frustriert über den anstehenden Blockbuster, mit dem so viele reiche Leute noch reicher werden, doch die Erfinder der eigentlichen Figur leer ausgehen sollten, schrieb der mittlerweile in die Jahre gekommene Siegel einen verzweifelten, anschuldigenden Brief an dutzende Freunde und Comicschaffende, in dem er den Betrug durch National Comics Publications anprangerte und aufzeigte, wie die beiden Künstler ihrer verdienten Beteiligung beraubt worden. Der Brief verbreitete sich schnell und rief andere Künstler auf den Plan, die ihre öffentliche Unterstützung zusicherten, wie bspw. Comickünstler Neal Adams. Die Kritik am Verlag und der Betrug an Shuster und Siegel avancierte schnell zur medialen Peinlichkeit für die Filmproduktionsfirma Warner, welche kurz vor der Premiere des „Superman“ Films stand. Warner war anschließend auf eine schnelle Schlichtung aus. Shuster und Siegel sollten folglich eine Rente zugesichert bekommen und wurden fortan als Schöpfer der Figur benannt. Ein Wermutstropfen im Vergleich zu den vergangenen 40 Jahren, aber ein Anfang, der dennoch nicht verhindern konnte, dass Shuster Anfang der 1990er als armer Mann sterben sollte.

Julian Voloj und Thomas Campi gehen mit ihrer Erzählung äußerst pragmatisch vor und versuchen die Geschehnisse auf chronologische Weise aufzuarbeiten. Trotz subtiler Bilder und seichter Pastellfarben erreicht die Geschichte eine ungeheure Wucht und deckt eine dunkle Seite der Geschichte der Superhelden auf, die auch heute noch gern ausgeblendet wird. Shuster und Siegel waren bekanntermaßen nicht die einzigen Künstler, die um ihren verdienten Ruhm an den von ihnen geschaffenen Figuren gebracht wurden. Auch Autor Bob Kane wird hier angenehm unsympathisch in Szene gesetzt, der seinen Kollegen und eigentlichen Batman-Schöpfer Bill Finger regelrecht aufs Kreuz gelegt hatte, was ihm hier einen hübschen optischen Vergleich mit dem Joker einbrachte.
Roy Lichtensteins aus heutiger Sicht schon fast vermessene Verwendung nicht von ihm geschaffener Comicwerke, die ihn berühmt machen sollten, doch die eigentlichen Schöpfer im Hintergrund kauern ließen, finden ebenfalls Erwähnung. Und ja, auch Stan Lee und der Mann, dem er nahezu all seinen ungerechtfertigten Ruhm zu verdanken hat - Jack ’King’ Kirby - sind zu sehen.

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Die Geschichte von Joe Shuster, Jerry Siegel und der von ihnen erdachten Figur Superman bleibt dennoch eine der tragischsten im gesamten Superheldenverlagswesen, was Volojs und Campis Comic, so sachlich nüchtern er auch erzählt sein mag, den einen wichtigen mahnenden Finger erheben lässt, der einfach erhoben werden muss, wenn man von Siegel und Shuster spricht.
Zwei Männer, dank derer so viele Menschen über so viele Jahrzehnte Arbeit hatten, so viele glückliche Leser unterhalten wurden. Zwei Männer, dank derer eine ganze Industrie, ein ganzer Zweig der amerikanischen Popkultur erschaffen werden konnte. Zwei Männer, denen man nach all dem Leid und den unzähligen Demütigungen gar nicht genug Anerkennung schenken kann. All dies macht „Joe Shuster - Vater der Superhelden“ trotz der sachlichen Erzählweise... ja, vielleicht sogar genau aufgrund dessen zu einer sehr berührenden, gar emotionalen Graphic Novel. Auch wenn es sich hierbei nicht um einen Superheldencomic handelt, haben Julian Voloj und Thomas Campi die vielleicht wichtigste Superheldengeschichte des Jahres verfasst. Sehr beeindruckend.

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