Comic Review: Mister Miracle (Panini Comics)

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Comic Review: Mister Miracle (Panini Comics)
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Mit dem „Mister Miracle“ Megaband erscheint in den kommenden Tagen ein Comic, auf den ich lange gewartet und gehofft hatte. Es war nämlich alles andere als selbstverständlich, dass Panini Comics diese abgeschlossene Reihe nach Deutschland holen würde und bedurfte einiger Abwägungen des Verlages. Doch entschied man sich letztendlich dafür es mit einem Komplettband zu probieren. Zum Glück kann ich nur sagen.

Batman“ Autor Tom King zählt beim US Verlag DC Comics aktuell zu den wichtigsten Zugpferden, machte der ehemalige CIA-Agent und Autor doch in den vergangenen Jahren mit einigen handverlesenen Titeln so massiv von sich reden, dass sich der Verlag aus Burbank, Kalifornien bemühte, den Schreiberling fest ins Boot zu holen.

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Bereits zwischen den Jahren 2015 bis 2016 arbeitete King mit Zeichner Mitch Gerads an ihrer ersten eigenen Comicreihe und veröffentlichten „The Sheriff of Babylon“ für DCs Imprint Vertigo als auf 12 Ausgaben angelegte Maxi-Serie.

Der Comic avancierte zu einem unglaublichen Erfolg, denn King verarbeitete in der überaus politischen Story seine persönliche Zeit im Irak, als er für die CIA im letzten Irakkrieg dort stationiert war, und erzählte anhand seiner Erfahrungen einen spannenden Polit-Crime-Thriller. Im Deutschen ist der Comic bisher leider nicht erschienen, trotz meiner bisher unermüdlichen Bettelbekundungen gegenüber Panini Comics. *Shame!

Mit „The Sheriff of Babylon“ entdeckte King für sich ein auch wirksames Comicformat: die abgeschlossene Maxi-Serie, mit der er ein ums andere Mal seine Fähigkeiten als Autor unter Beweis stellen sollte.

Kurz darauf folgte Kings „The Omega Men“ für DC Comics sowie auch die mit dem Eisner Award prämierte Über-Serie „Vision“ für Marvel Comics. Der Mann hatte also ein Konzept für sich gefunden und konnte mit der puren Ankündigung, mit einer weiteren abgeschlossenen Maxi-Serie in die Welt von Jack Kirbys „Fourth World“ eintauchen zu wollen, bereits vorab Unmengen an Begeisterung und Aufmerksamkeit einfahren.

Nun liegen alle 12 Einzelausgaben von „Mister Miracle“ vor und Panini Comics übernahm das jüngst erschienene US Paperback auch für den deutschsprachigen Markt.

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Scott Free aka. Mister Miracle hatte ein bezeichnendes Leben. Geboren als Sohn des höchsten aller New Gods Highfather stand ihm ein überaus beschauliches Dasein bevor. Doch ihr Heimatplanet New Genesis befand sich seit Äonen im Krieg mit Apokolips und dessem diabolischen Herrscher Darkseid.

Ein Krieg der bereits ewiglich verlief, doch nicht ewig andauern sollte. Und so schlossen der Highfather und Darkseid einen Pakt, indem sie die jeweils Erstgeborenen des anderen unter ihre Fittiche nahmen und schworen, diese als ihre eigenen Kinder aufzuziehen. So wurde Scott für den Frieden zweier Welten an Apokolips verkauft, während Darkseids Sohn Orion den Platz an der Seite des Highfathers einnahm.

Über die Jahre hinweg musste Scott in den grausamen Feuergruben Apokolips’ elendiges Leid erfahren und versuchte ein ums andere Mal zu entkommen, den Qualen von Folter und Erniedrigung zu entfliehen und Apokolips hinter sich zu lassen. Jahre vergingen, bis ihm eine Flucht gelang und er endlich frei war.

Auf der Erde angelangt, freundete sich Scott mit dem Entfesslungskünstler Mister Miracle an, der einige Zeit später sein Leben lassen musste. Scott nahm folglich die heroische Identität des Mister Miracle an sich und wurde zum weltbesten Entfesslungskünstler - kein Wunder, mit göttlicher Macht ausgestattet, denn schließlich ist auch Scott Free einer der New Gods und aufgrund unzähliger Fluchtversuche von Apokolips bestens trainiert.

Als Superheld lebte er fortan sein Leben auf der Erde an der Seite seiner Frau Big Barda - einer der Furien von Apokolips. Doch sollte ihn seine Vergangenheit einholen, denn der Konflikt zwischen Apokolips und New Genesis dauert noch immer an und so muss sich Scott einem Schicksal stellen, dem er nicht entkommen kann.

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Im weiteren Verlauf des Textes sind SPOILER enthalten

Anders als im Vorfeld vielleicht erwartet, nutzt Tom King seine Geschichte nicht, um eine irrwitzige mit Action gespickte Space-Opera über zwei sich im Krieg befindende intergalaktische Völker zu erzählen, sondern konzentriert sich bei der Handlung vorrangig auf das Alltagsleben der Protagonisten Scott Free und Big Barda.

Während die beiden ein Leben als mehr oder weniger bekannte Helden auf der Erde leben, tobt der Krieg zwischen Apokolips und New Genesis scheinbar nur am Rande. Die Story in der Gänze setzt nach einem Selbstmordversuch Scotts ein und beschreibt die Nachwirkungen auf sein Familienleben, seine Beziehung und sein Dasein als Held.

So verbindet King bekannte Sci-Fi-Fantasy-Elemente des Superhelden-Genres mit realen menschlichen Problemen wie Depression, Selbstzweifel, PTBS und familiären Dramen zu einer überaus komplexen Story, die stets gewillt ist, in subtil wirkenden Strukturen und Bildern zu erzählen.

Während die Welten auseinander zu brechen scheinen, muss sich Scott der Frage stellen, was es ihn kosten wird, diese zusammen zu halten und was er für die, die er liebt, opfern muss. So entstehen überaus einschneidende Kontraste in den Handlungselementen, die von Comedy, Drama, Romantik bis hin zu Horror reichen und das ausgefeilte Story-Telling Kings aufzeigen, welches vom ersten Panel an durchdacht ist und keine Zufälle gestattet.

Während der Autor nach eigenen Angaben selbst unter Panikattacken litt, verarbeitet er in Scott Frees Geschichte die Auswirkungen und Erfahrungen, die er im Anschluss selbst machen musste: in einer Welt zu leben, die für ihn nicht richtig, gar falsch erscheint, was an kleinen Aspekten des Alltags festzumachen ist.

Die bereits angesprochene Subtilität der Erzählweise ist daher nur Schein, denn King verwebt bereits zu Beginn der Handlung markante Hinweise auf einen übergeordneten Umstand, der Zweifel an den reellen Begebenheiten von Scotts Erlebnissen streut, letztendlich jedoch nur bedingt Aufklärung darüber liefert und somit vielschichtigen Interpretationsspielraum gibt.

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Als weltbester Entfesslungskünstler, der jegliche Herausforderungen meistert, versuchte er mit seinem vermeintlichen Selbstmord dem Tod zu entkommen. Doch gelang ihm das tatsächlich?

King spielt fortwährend mit metaphysischen Anspielungen und Metaphern, die das Selbst in Relation zum Göttlichen hinterfragen und das eigene Sein auf das Sein Gottes subsumieren. Darkseid ist.

So beschreibt King die vier Welten, bestehend aus einer alten Welt, aus der ihre Vorfahren flohen. Die zweite Welt ist die Welt, welche die Vorfahren fanden und auf der sie sich niederließen. Die dritte Welt ist ihre gegenwärtige Welt, die sie aus der Welt ihrer Ahnen formten. Und die vierte Welt? Dies ist die Welt, die Scott sieht, wenn er die Augen schließt. Die Welt, die er sich vorstellt, die er für richtig hält, in der er leben möchte.

Als Darkseid fällt und Metron ihm das Angebot macht, in die reguläre Kontinuität der Heldenära zurückzukehren, offenbart sich dem Leser erstmals, dass Scotts Realität eine andere ist, als man bis dahin suggerierte. Scott lehnt ab, doch warum? Ist die Welt, seine eigene Fourth World, die er sich suggeriert, die, in der das Leid endlich ein Ende hat? Ein Ende des elendigen Kreislaufs, um in Frieden mit seiner Familie leben zu können?

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Befindet er sich gar im Limbus, wie Granny Goodness es ihm suggeriert? Oder im Himmel, wie sein vermeintlicher Bruder Orion meint? Oder starb er sogar durch die Omegastrahlen seines teuflischen Ziehvaters? King spielt immer wieder auf die Definition von Realität an und stellt die Frage, was Realität ausmacht. Wenn Scott sich diese Welt erschaffen hat und er sie jeder anderen Option, jeder anderen Realität vorzieht, macht es diese dann für ihn dann nicht zur Realität? Darkseid ist.

So suggeriert die Story an diesen Stellen sehr viel, lässt den Leser mit der Interpretation jedoch allein. Und das macht die Geschichte auch so stark.

Abseits dessen verarbeitet King tonnenweise Anspielungen auf den Weltenbauer der Fourth World selbst: Jack Kirby. Der wahre kreative Geist hinter vielen Marvel Schöpfungen, deren Ruhm bekanntermaßen ein anderer einheimste.

Kirby selbst schuf nach seinem Abgang bei Marvel und seinem Antritt beim Verlagskonkurrenten DC Comics u.a. mit der Figur Funky Flashman eine direkte Anspielung auf Stan Lee, welche Tom King in seinem Comic wohlwollend aufnimmt.

So wird Funky zur Nanny von Scott und Bardas Sohn erklärt - welcher wiederum Jacob heißt (Jacob Kurtzberg, Kirbys bürgerlicher Name) und lässt in mehreren Dialogen mit Funky auf die Beziehung zwischen Kirby und Stan Lee anspielen. Jacob, der Geschichten anhand seiner unfassbar ausgeprägten Fantasie kreiert, und Funky, der das Reden übernimmt, denn das kann er besonders gut. Eine wunderbare Verneigung vor einem großen Künstler und eine kleine Schelle für eine unsterbliche Ikone.

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Visuell arbeitet Mehrfach-Kollaborateur Mitch Gerads abermals mit dem für King bekannten 9-Panel-Grid, wie man es bereits aus „The Sheriff of Babylon“ oder auch dem von Gabriel Hernández Walta gezeichneten „Vision“ und natürlich Alan Moores und Dave Gibbons’ „Watchmen“ kennt.

Bemerkenswert ist, dass Gerads scheinbar bewusst auf die Seitenhintergründe in den jeweiligen Settings achtete. So haben Szenen auf der Erde, Szenen aus dem Alltag der Frees einen weißen Seitenhintergrund, während Szenen auf den Welten der New Gods in einen schwarzen Hintergrund eingebettet wurden.

Besonders mit den verzerrten Panels und dreckigen Elementen innerhalb mancher Szenen unterstreicht Gerads sehr deutlich die bereits angesprochenen Unstimmigkeiten der Begebenheiten der Handlung, welche den Eindruck verfestigen, dass mit dem Realitätsgefüge von Scott Frees Leben etwas nicht stimmt.

Doch vor allem das von Gerads wunderbar ausbalancierte 9-Panel-Grid erzeugt in vielen Dialogen eine ungeheuerliche, ja nahezu klaustrophobische Atmosphäre.

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Tom King und Mitch Gerads haben mit „Mister Miracle“ einen der wichtigsten und sicher besten Superheldencomics des Jahres hingelegt, der in Sachen Visualität und Story-Telling die Messlatte so unfassbar hochlegt, dass ich gespannt bin, wann diese überboten werden soll.

Der Trip durch die Psychologie und das Drama des Scott Free, die Chemie mit seiner wunderbaren Frau Big Barda sowie die unzähligen Reminiszenzen an das eigene Genre, wobei die Grenzen dessen kontinuierlich gesprengt werden, zeigen auf, dass auch nach über 80 Jahren noch immer Superheldengeschichten erzählt werden können, die es auch verdient haben, erzählt zu werden. Eine zwingende Empfehlung!

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Reuter
Reuter
13. März 2020 16:17

Hochgelobt und einfach nur langweilig. King kann Jeff Lemire nicht einmal annähernd das Wasser reichen. Eine echte Enttäuschung.

gambit_sw
gambit_sw
1. April 2019 20:34

Danke, Du sprichst mir aus tiefster Seele ‼️ ?Dieses Comic ist so unglaublich gut und hat gute Chancen auf mein persönliches Jahres Highlight..

Mike
Mike
1. April 2019 12:35

Ich warte so sehr auf den Band aber mein Shop kriegt erst zum Ende der Woche Lieferung 🙁

Luminatic
Luminatic
1. April 2019 11:02

Wahnsinns Review und Comic! Hab es bereits mehrfach als US gelesen und werde mir die deutsche Ausgabe auch noch gönnen!

Goblin
Goblin
1. April 2019 13:32
Antwort auf Kommentar von  Luminatic

Ist denn die deutsche Ausgabe identisch mit dem US-Material?

Luminatic
Luminatic
1. April 2019 17:33
Antwort auf Kommentar von  Goblin

Da dürfte es keine Unterschiede geben.